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aus:
Markierungen des Lebens
Der Sandsteinheilige
Über unserm Tor zum Hof stehn zwei:
ein Baum, der blühen will,
und ein Heiliger, der so lang still
war, voll Lächeln dabei,
daß er den Namen vergessen hat,
der ihn doch selig macht.
Sein Kleid ist schlank und glatt;
so lang war es dem Leibe geweiht,
dem demütigen unter der Pracht
leuchtender Zeit.
Wie, wenn sich einer niederlegt
und denkt: ein Tag noch, eine Nacht,
und ich bin weit von Welt,
lehnt er sich müd, von Trauer bewegt,
dem Baum in den Arm.
Und der blüht und wacht
und der wächst und trägt,
bis die Frucht reift und fällt
dem Heiligen in die Hand,
mit der er hütend und warm
Blumen für Sterbende wand...
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Christine Lavant
Dein Kopftuch ließ dich jenen namenlosen
alten schwarzen Frauen gleichen,
wie sie vor weißgetünchten Häusern abends sitzen,
unterwiesen in den Zeichen,
Linien, Signalen - fündig
in den Lebensadern im Gestein der Zeiten.
Du Kreuz der Linien aus unsichtbar - und wirklichen Bereichen,
Wegwarte du, bescheiden,
fürchtig und vor lauter sich in dir getroffnen Weiten
schmalgepreßt und lächelnd wie aus einer Spalte
zwischen sieben Ewigkeiten -
jung schon alte
Tasterin und das Gehör voll unerlöster Worte,
die du zu Bekleidung stricktest
für die nackten Seelen,
die wie deine - unverlierbar - froren.
Unverloren.
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aus: Stimmen des Ungewissen
Kapitel 9
Links oben schaue ich aus dem Fenster, von meiner Schulbank aus links hinten,
links oben im Pestalozzirealgymnasium, schaue nicht nach vorn zum Professor,
nicht nach rechts hinten, wo Samek nicht mehr sitzt, seit man ihm die Hose
hat ausziehen wollen, um zu sehen, ob er beschnitten sei, und ich stand
stumm und fassungslos in der Ecke und schaute lieber links hinaus aus dem
Fenster - HINAUS MIT SAMEK - HINAUS MIT DEN JUDEN - und schaue von links
oben hinunter über die niedrigen Häuser weg und über die
Mur aufs andere Ufer: dort brennt es, dort haben sie ihnen den Tempel angezündet
an diesem dunklen Tag, und nun zündelt es heraus und züngelt,
und es sieht hübsch aus aus der Ferne von meinem Platz aus links oben,
wie die Flämmchen herauskommen, schön sieht sie aus, die Kuppel
der Synagoge im Schmuck der Flammen - UND DER VORHANG DES TEMPELS FLOG
ALS ASCHE EMPOR - EINE ASCHENSÄULE WANDELTE VOR DEM AUSZUG DER JUDEN
SEIT DIESEM DUNKLEN TAG IM NOVEMBER -, und die Feuerwehr sicherte die Umgebung
ab mit ihren Schlauchzügen und Spritzenkomandos, und Stille herrschte,
man konnte ruhen im Bilde - den Rotziegelbau einstürzen sehen und
sehn, wie die Leute, die da herumstanden, kaum wegzutreiben waren aus der
Zone ihrer Gefährdung -, so animiert einen eben das Feuer, überhaupt
wenn es hervorbricht aus Synagogen oder aus dem Volksempfinden, dem immer
gesunden: Ich seh es bis zu mir nach links oben im Klassenzimmer der Schule,
in der man Latein lernt und alte Geschichte und neue so schön unterm
Fenster hat und auf dem Heimweg ganz nah vor sich dann an der Radetzkibrücke,
wo gerade ein Lastauto im Schrittempo inmitten einer Meute, Menge Masse
von Menschen, Massenmenschen, Menschenmeute, einer Menge aus lauter Volksempfinden,
dem jetzt gerade besonders gesunden, ein offenes Lastauto vorüberfährt,
eine fahrbare Bühne, auf der Gerechtigkeit gespielt wird, gut gespielt,
sehr anschaulich, Gerechtigkeit nach dem allergesündesten Volksempfinden,
so daß es die Herzen höher schlagen läßt, wo auf
der Bühne gezeigt wird, wie der alte Rabbiner von der neuen Geschichte
am Bart gezogen wird, angespuckt wird mit Hohn und Schimpf - JUDAS, VERRECKE
und DEM JUDEN SEIN GELD STINKT - und Spott und arischer Ironie moralisch
hingerichtet wird, bevor es physisch dazu kommen wird aus kaltem Kalkül,
wo niemand mehr wird verrecken müssen, sondern im Rahmen der Endlösung
lediglich in Duschräume geführt werden wird, das hat noch Zeit
- Eibeschütz freilich, der kleine Jude rechts unten in unserem Haus
Am Damm 4, Eibeschütz freilich hat schon eine Vorprobe erlebt, denn
als ich ihn mehrere Wochen nach dem Feuerwehreinsatz traf auf der Straße
und ihn grüßte wie immer, blieb er stehen und blickte sich um
und sagte zu mir, er sei gerade zurück von der Kur, er müsse
sagen, er habe immer zu essen und zu trinken bekommen - und neue Zähne
habe er nun auch: Da war ich vierzehn und hab es begriffen (aber was sollte
ich machen), froh war ich, als ich dann hörte, er sei mit seiner Frau
und Arthur, dem vierzehnjährigen Sohn, mit dem ich vor unserer Schulzeit
manchmal gespielt hatte, nach Schanghai ausgewandert, bevor es zu den letzten
Kurkonzerten gekommen ist.
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aus:
Atemwaage
Seite 79
Manchmal wußten wir nicht aus noch ein angesichts der Aufgaben der Zeit. Zu
welchem Behufe studierte ich? Willi wollte vielleicht Schauspieler werden.
Wie findet man seinen Platz?
Da war es schon mehr als erstaunlich, wurde einem einer angewiesen unvorahnbar und
so selbstverständlich zugleich, daß man erst gar nichts begriff und weiterging,
wenn der Boden einen auch kaum noch trug oder die eigenen Schwereverhältnisse sich
unversehens geändert hatten innerhalb weniger Minuten, und das im Hinterzimmer
der Gastwirtschaft unten in meinem Geburts- und Wohnhaus: Wieder einmal
spät war ich aufgestanden, so stieg ich gegen Mittag erst hinab die
sechs elfstufigen Staffeln vom dritten Stock ins Parterre, da öffnete
sich einen Spaltbreit wie sonst erst, wenn ich heimkam, die Tür der
Wirtschaft der böhmischen Wirtin: Hat Herr Rudi schon Zeitung gelesen?
- Nein, noch nicht, antwortete ich auf die halblaute Frage der Frau, die
dastand leicht vorgebeugt und mit dem Ausdruck einer Mutter, die eine
Überraschung in einer Hand versteckt hat und nun gleich beide dem Kind
mit dem Rücken nach oben entgegenhalten wird zum Drauftippen mit dem
Zeigefinger. Sie zog mich förmlich hinter sich her durch die Tür in das
Gemach, dem die halbgeschlossenen Jalousien fast den Charakter vornehmer Reserviertheit
verliehen, und legte mir ein aufgeschlagenes Blatt vor die Augen, in der Mitte das Bild
einer weißen Rose und darunter ein Gedicht, und das Gedicht war von
mir. Ich überflog die Zeilen eher erschrocken als nur staunend. Die Wirtin
sagte: Herr Rudi, besser so in Zeitung stehen als als Verbrecher.
Montags darauf, am späten Vormittag, klopfte ich an die Tür der
Feuilleton-Redaktion der Neuen Steirischen Zeitung im Hause Leykam in der
Stempfergasse. Wie überrascht war ich, als ich in dem
Weißlangmähnigen, der mich eintreten geheißen hatte, den
Philosophen aus dem Schloßberghöhlengleichnis wiedererkannte!
Da saß ich ihm nun gegenüber, Hans Hellmer, einem alten Freund
meines Vaters, von dem er auch das Manuskript meiner Vox humana bekommen
hatte, und Hans Hellmer wurde nun der Platzanweiser vorerst mir für sieben
fette und auch dürre Jahre, beides zugleich, und die Freundschaft dieses
großen alten Mannes erfüllte mich mit Kraft und Mut: am 23. Juli sollten
meine Werke im Kammermusiksaal uraufgeführt werden zusammen mit zwei
Violinsonaten und einem Streichquartettsatz des ebensojungen Komponisten Rudolf
Weishappel. Als erstes mußte der Gesamttext meines Programms der
Zensurbehörde der Besatzungsmacht vorgelegt werden. Dann begannen wir mit
den Proben und legten die Reihenfolge der Stücke und Gedichtgruppen fest
(mit dem jungen Schauspieler Willy Püngel als Rezitator und meinem Freund
Walter Klasinc als Geiger).
Seite 83
Jeder hatte seinen besten Anzug an und steifen Kragen und Krawatte, alle dünn
und lang und nervös. Und dann füllte sich der Saal. Ja, er füllte
sich. Im Parkett füllten sich die Reihen. Tatsächlich. Zu uns
zwei unbekannten Autoren, dem der Noten und dem der Buchstaben, kamen sie;
und alsbald spendeten sie Beifall, erst nach Walters Sonatenspiel, dann nach Willi
Püngels erstem Rezitationsteil, ermunternden Beifall, immer wieder, und zum
Schluß bestätigenden, sich steigernden. Wir waren benommen von dem
Geschehen. Nebeneinander standen wir vor dem Podium, Weishappel und ich, und immer,
wenn einer von uns in seiner Verbeugung unten war, war der andere oben. Und Leute
kamen auf uns zu und schüttelten uns die Hände. Und da war der einbeinige
Bäcker aus der Sackstraße und seine mädchenhafte Frau, und er auf
den Krücken überreicht mir einen Füllfederhalter, und nachher
erfuhr ich erst, was für einen kostbaren, und das in jenen Tagen der
bittersten Not; und ich hatte es sofort begriffen und habe ihn heilig gehalten
bis heute, diesen goldenen Mahner SCHREIB WEITER.
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aus:
La ville imaginaire
Die Gasse der Seiltänzer
Der Seiltänzer bedarf keiner gepflasterten Straße:
er spannt seine Wege quer durch die Luft.
Es sieht hübsch aus und gar nicht so aufregend, wie man
wohl meint, wenn zwischen zwei sechsten Etagen ganze
Familien einander seiltanzend besuchen -
mit Blumen im Arm und Kuchenpaketen
auf flach gespreiteten Händen - sie halten
Balance damit - auch mit Büchern oder
mit Vasen, sogar mit Hunden und Katzen,
und mancher mit nichts als dem Blick hinunter
zu fremden Passanten, deren
Bewunderung Halt gibt.
Die Gasse der Posaunisten
In der Gasse der Posaunisten
hat jeder eine ganz unerschütterlich feste
Überzeugung von sich und der Welt.
Jeder bläst, und keiner hört zu.
Die Gasse der Haarkünstler
In der Gasse der Haarkünstler und Verschönerungsinstitute
herrscht bis spät abends Gedränge. Ohrenbetäubendes
Scherengeklapper, das Wirbeln von Brennscheren, der
Duft der Pomaden, Sprays, Cremes und Parfums
macht jeden Passanten benommen und gibt ihm den
Wunsch ein, auch schön und feingerüchig zu werden.
So sitzt man bald unter den wartenden Kunden und
blättert in Illustrierten voll illusionistischer Bilder,
beseelt von der Hoffnung, sie verblassen zu lassen vor sich.
Sich selber zu gleichen fällt ja selbst denen sehr schwer,
die mit Verachtung an diesen Salons vorbeigehn.
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aus:
Vox humana
Magnolie
Komm abends in den österlichen Garten,
sieh blühend die Magnolie stehn,
ihr Rosa ist noch ungewiß, wie ein Erwarten,
durch das errötend ängstliche Gedanken gehn.
Fast meinst du, leise unter sie getreten,
es sei ein Flug von Vögeln, seltsam scheu und leicht,
der schwirrend auffliegt und an Beeten
fern und unerkannt vorüberstreicht.
Was, Knospe, birgt dein Eng-Umschlossensein?
öffnest du dich erst, wenn niemand daran denkt,
und läßt die Sterne steigen, bis sie klein
um unser Fragen kreisen, frei und doch gelenkt?
Ahnung des Todes
Es kommt der Abend, und ein stilles Roß an meiner Tür...
Es sieht mich an, sein Huf aus dunklem Erze scharrt,
es nimmt mit weichem Maule Knospen von den Zweigen,
es trinkt vom Wasser meiner Brunnen, meiner Tröge,
es wartet wohl auf einen, der es nun bestiege...
Ich habe Furcht vor ihm. Es sieht mich immer an.
Und doch, ich möchte es besitzen, mir ist, es trug mich gut,
durch einen langen Schlaf zog es mit mir.
Es kommt der Abend, und ein stummer Hund an meiner Tür...
Er sieht mich an, sein Schweif aus dunklem Haar erbebt,
er nimmt aus meiner Hand getreu von meinem Brot,
er trinkt vom Wasser meiner Quellen, meiner Brunnen,
er wartet wohl auf einen, der ihn nun beriefe...
Ich habe Furcht vor ihm. Er sieht mich immer an.
Und doch, ich möchte ihn besitzen, mir ist, er weiß den Weg,
durch eine lange Nacht weiß er den Weg.
Es kommt der Abend, und ein fremder Mann an meiner Tür...
Er sieht mich an, sein Haupt voll dunklem Blick ist schön,
er nimmt mit stummem Dank von meinem Salz, von meinem Brot,
er trinkt aus meinem Kelch vom Weine meiner Keltern,
er wartet wohl auf einen, der mit ihm die Nacht durchschritte...
Ich habe Furcht vor ihm. Er sieht mich immer an.
Und doch, ich möchte meine Hände in den Schoß ihm falten.
über ein dunkles Reich ist er der Herr.
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Leseprobe Diplomarbeit (Magisterarbeit)
Zusammenfassung
Seite 7
Da bisher keine Gesamtdarstellung zu Rudolf Stibill existiert, soll diese Arbeit
einen ersten Aufbereitungsversuch zu Leben und Werk des Grazer Lyrikers bieten.
Zahlreiche Zeitungsartikel, die zwischen 1945 und 1955 über Stibill erschienen sind,
einige wissenschaftliche Aufsätze und Rezensionen zu einzelnen Gedichtbänden,
einige Manuskripte zu bisher unveröffentlichten Texten des Autors sowie Typoskripte,
die im ORF Landesstudio Steiermark archiviert sind, bilden die Grundlage für diese
Untersuchungen. Besonders wertvoll waren die ausführlichen Gespräche,
für die sich Rudolf Stibill im April und im September 1992 zur Verfügung
stellte.
I. Biographischer Teil
I.1. Kindheit und Jugend in Graz
Rudolf Stibill wurde am 30. Juli 1924 in Graz geboren. Er wuchs am Grazer Lendplatz auf,
in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Gegensätze noch an den einzelnen
Stadtvierteln auf krasse Weise abzulesen waren. Der Lendplatz gehörte zu den
ärmlicheren, zugleich aber auch bunteren Stadtvierteln von Graz. Stibills Geburtshaus,
das heute noch zu besichtigen ist, steht Am Damm 4, einer kleinen Seitengasse, die
unmittelbar in den Lendplatz mündet. Rudolf Stibills Mutter, Maria Stibill, 1893 in
Cilli geboren und in dem kleinen slowenischen Dorf Studenice, das damals noch zur
Untersteiermark gehörte, aufgewachsen, kam mit ihrer Familie im Jahr 1911 nach Graz.
Was Stibill in seiner Kindheit noch als Überreste des ehemaligen Wohlstandes der
slowenischen Herrschaftsfamilie erlebte, waren vor allem Gegenstände in der Wohnung, in
der er aufwuchs; Dinge wie Silberbesteck, edles Geschirr und Möbelstücke, die zu
vornehm für die ärmlichen, kleinen Räumlichkeiten waren. Vor allem der
Flügel, auf dem das Kind Stibill musizieren lernte, füllte einen großen Teil
der Wohnung aus, die aus einem Zimmer und einer Küche bestand. Auf Stibills intensive
Beziehung zur Musik weisen später Gedichte hin, Freundschaften zu Musikern oder eine
Würdigung Franz Schuberts, die er anläßlich von dessen 150. Geburtstag am
31. Jänner 1947 in der "Neuen Zeit" schreibt.
Im gemeinsamen Haushalt mit Mutter und Kind lebten noch Stibills Großmutter und deren
jüngere Tochter Hilda, die für Stibill eher eine ältere Schwester als Tante
war. Stibills Mutter war die einzige in der Familie, die Arbeit hatte, und mußte deshalb
für den allgemeinen Unterhalt aufkommen.
Die wirtschaftliche Lage war eines der wenigen Merkmale, das die Familie Stibill mit der
Bevölkerung des Lendplatzes verband. In ihrem Auftreten und in ihrer Sprache, die
hochdeutsch war, unterschieden sie sich von den Menschen ihrer Umgebung...
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